
Unsere Demokratie ist
in der Krise. Viele
beschreiben diese
Krise als „postfaktisches
Zeitalter“.
Aber was meinen
wir eigentlich mit „postfaktisch“? Für
mich ist das ein Synonym für ein politisches
Vakuum. Zu lange hat die
Logik der Sachzwänge und der vermeintlichen
Alternativlosigkeit unsere
öffentlichen Debatten dominiert. Die
Argumentationskette der Alternativlosigkeit
war schon immer das Schwert
der Marktradikalen. Über Jahrzehnte
hat der Marktradikalismus westliche
Industrieländer geprägt. Das hat Spuren
hinterlassen. Der gesellschaftliche
Kompromiss hinter dem Begriff der sozialen
Marktwirtschaft bröckelt heute.
Das Aufstiegsversprechen funktioniert
nicht mehr. Einkommens- und Vermögensungleichheit
nehmen zu. Allein
das zehrt an der Legitimation unseres
Wirtschafts- und Wohlstandsmodells.
Es ist aber auch eine Zeit der Umbrüche.
Moderne Technologien haben unser Leben
einfacher gemacht und Wohlstand
geschaffen. Menschen in industrialisierten
Ländern arbeiten heute weniger,
um sich und ihre Familien zu ernähren.
Gleichzeitig droht durch den technischen
Fortschritt immer mehr Streit um
immer weniger Arbeit. Die wenigsten
haben eine konkrete Vorstellung von
Industrie 4.0. Aber sie spüren, dass sich
etwas verändert. Die Digitalisierung der
Arbeitswelt wirft die Frage auf, womit
wir künftig unsere Zeit verbringen, wovon
wir materiell leben, wenn gerade
im Bereich der Niedrigqualifizierten
Arbeitsplätze wegfallen. Für viele ist
die Digitalisierung eine Bedrohung,
weniger eine Chance. Auch der Globalisierung
begegnen immer mehr Menschen
mit Skepsis. Zweifellos hat die
Globalisierung viele Gewinner hervorgebracht,
aber eben auch viele Verlierer.
Und dann bleibt der Klimawandel, der
ungebremst voranschreitet, auch wenn
ihn manche leugnen. Die Veränderung
des weltweiten Klimas entwickelt sich
zur vielleicht bedeutendsten sozialen
Frage unserer Generation, weil ihre Folgen
gerade die Ärmsten dieser Welt am
härtesten treffen. Vieles, was bisher sicher
geglaubt war, ist es nicht mehr. Und
deswegen ist es kein Zufall, dass zu-
THORSTEN SCHÄFER-GÜMBEL
Der Kampf um
Werte im
postfaktischen
Zeitalter
Wie sich Grundsätze der Par tei in zukunf tsfähige Politik umsetzen lassen,
diskutier te der SPD-Spitzenpolitiker mit den Teilnehmern des 140. BBUG
40 PALAIS BIRON NR. 25 | SOMMER 2017