
PALAIS BIRON NR. 25 | SOMMER 2017 83
zeitfressende Verwaltungsaufgaben
und wünschen sich mehr Raum für
individuelle Förderung. Doch die Erkenntnis,
dass digitales Lernen keine
zusätzliche Belastung, sondern ein
Teil der Lösung ist, hat sich noch nicht
durchgesetzt.
Diese Zurückhaltung der deutschen
Schulen ist keine angemessene Antwort
auf die Herausforderungen. Schon
heute funktionieren Kommunikation,
alltäglicher Wissenserwerb und Arbeit
nicht mehr ohne Smartphones und
Tablets – das haben vor allem Kinder
und Jugendliche verinnerlicht, die mit
den digitalen Medien aufwachsen. Der
Kontrast zwischen ihrer digitalen Lebenswirklichkeit
und dem analogen
Schulkosmos ist immens.
Schulen, die ihrem Bildungsauftrag
gerecht werden wollen, können
die digitale Dynamik um sie herum
nicht länger ignorieren. Andernfalls
riskieren sie eine soziale Spaltung:
Gebildete Eltern wissen Nützliches
und Schädliches besser zu sortieren,
versorgen ihren Nachwuchs eher mit
sinnvollen digitalen Lernmaterialien
als mit unsinnigen Spielen. Kinder
aus bildungsfernen Familien
hingegen
brauchen Unterstützung von ihrer
Schule, damit sie moderne
Medien
nicht nur zur Unterhaltung, sondern
auch zum Lernen nutzen.
Der Gewinn einer besseren, auf die
persönlichen Bedürfnisse ausgerichteten
Bildung geht notwendigerweise
mit der Preisgabe der eigenen Daten
einher. Um den Lernplan zu personalisieren,
braucht ein Computerprogramm
wie das von New Classrooms
Informationen über den Lernfortschritt
jedes Schülers. Nur so kann
Lernsoftware als Bildungsoptimierer
funktionieren, um möglichst vielen
Menschen ein auf ihre persönlichen
Bedürfnisse zugeschnittenes Lernen
zu ermöglichen. Doch die Nebenwirkungen
der digitalen Bildungsrevolution
können erheblich sein: Zu
leicht werden irrelevante statistische
Zusammenhänge fehlinterpretiert.
Zu leicht werden Menschen zu Opfern
von Wahrscheinlichkeiten. Zu
leicht können persönliche Lerndaten
zweckentfremdet und missbraucht
werden.
So nötig Daten und Prognosen sind,
um Lernwege zu personalisieren, so
sehr können sie auch missbraucht
werden.
Wenn ein Computerprogramm
„Risiko-Kandidaten“ identifizieren
kann, werden sie dann vielleicht
gar nicht mehr an einer Hochschule
aufgenommen oder müssen sie
– ähnlich wie Risikopatienten bei
Risiko: Persönliche
Lerndaten
können missbraucht
werden
JÖRG DRÄGER
Foto: Dirk Eusterbrock/Bertelsmann Stiftung