
THORSTEN SCHÄFER-GÜMBEL
gungen zwischen dem Land und den
urbanen Zentren auseinander. Aber
auch innerhalb der Städte nimmt
die soziale Spaltung zu. Wir wollen,
dass alle Menschen ungeachtet ihres
Wohnortes gut leben können. Teilhabe
für alle setzt einerseits voraus, die
Daseinsvorsorge im ländlichen Raum
zu sichern. Wir wollen keine Vertreibung
aus den Dörfern. Dafür müssen
wir auch Verteilungsschlüssel für öffentliche
Einrichtungen ändern. Für
öffentliche Güter muss es ein Vorhalteprinzip
geben. Oder anders gesagt:
Kitas auf dem flachen Land dürfen
nicht geschlossen werden, weil Gruppengrößen
unterschritten werden. Die
Bevölkerungsstruktur im ländlichen
Raum lässt sich nämlich nur stabilisieren,
wenn die Versorgung mit öffentlichen
Gütern wie Gesundheit,
Bildung und Kultur gewährleistet ist.
Die größte Herausforderung dürfte
aber sein, Mobilität für alle Menschen
sicherzustellen. Dabei sind die individuellen
Bedürfnisse auf dem Land
andere als in der Stadt. Deswegen
werden die Mobilitätskonzepte für
die Großstädte anders aussehen als
für Flächengemeinden im Hinterland.
Entscheidend ist aber, dass alle Menschen
zu ihrem Arbeitsplatz kommen,
Zugang zu Versorgungsgütern haben
und in ihrem sozialen Leben nicht
eingeschränkt sind. Wir sagen aber
auch Nein zur Verelendung in den
Städten. Unsere größten Anstrengungen
gelten dabei der Schaffung von
bezahlbarem Wohnraum. Es sind vor
allem die teuren Mieten, die Menschen
mit normalen Einkommen im
Alter arm machen. Um die Spaltung
der Gesellschaft innerhalb der Städte
zu verhindern, muss mehr gebaut
werden. Das gilt für Neuausweisung
von Baugebieten wie für Verdichtung.
Bezahlbarer Wohnraum dürfte sich in
den nächsten Jahren zum wichtigsten
Baustein für die Alterssicherung der
Menschen entwickeln.
5. INVESTITIONEN IN DIE ZUKUNFT
Gerechtigkeit setzt schließlich auch
voraus, dass wir unsere öffentliche Infrastruktur
nicht verkommen lassen. Ein
maroder Staat heißt für die allermeisten
Menschen, in dem freien Leben, das sie
heute kennen, eingeschränkt zu sein. Marode
Brücken, Schlaglöcher in den Straßen,
Putz, der in den Schulen von den
Wänden bröckelt, Funklöcher und Wüsten
in den Datenautobahnen vermindern
unsere Lebensqualität und gefährden unseren
wirtschaftlichen Erfolg. Deswegen
müssen wir jetzt in die Funktionsfähigkeit
unseres Staates investieren, damit
wir künftig gut und sicher leben und
arbeiten können. Der Investitionsstau ist
der Bremsklotz für künftiges Wachstum.
Statt Steuergeschenke an Reiche wollen
wir vorhandene Spielräume nutzen, um
die öffentliche Infrastruktur fit für die
Zukunft zu machen und den Rahmen zu
schaffen, in dem die Fachkräfte von morgen
ausgebildet und die Unternehmen der
Zukunft entstehen können.
POSTFAKTISCHES ZEITALTER
Thorsten Schäfer-Gümbel, geboren 1969, ist stellvertretender SPD-Parteivorsitzender
sowie Landes- und Fraktionsvorsitzender in Hessen. Er ist Vorsitzender des
Kulturforums der Sozialdemokratie. Außerdem leitet er beim Programmprozess zur
Entwicklung des Wahlprogramms die Arbeitsgruppe „Wirtschaft, Bildung, Investitionen
und Finanzen“. Auf Bundesebene bearbeitet er darüber hinaus das Thema
Finanzmarktregulierung und ist für die Kontakte nach Asien zuständig.
Foto: Sozialdemokratische Fraktion im Hessischen Landtag
44 PALAIS BIRON NR. 25 | SOMMER 2017